AV (2003) Sind „die Besten“ die billigsten Forscher im Staat? die-Besten-nennen 8: www.die-besten-nennen.de
© Vless Ebersberg, 2003

 

Sind „die Besten“ die billigsten Forscher im Staat?

 

Inhaltsverzeichnis
• Unterhaltungswert für die Öffentlichkeit eher gering
• Die „Besten“ gegenüber Mittelmaß - überragend um das 20-Fache
• Geschätzter Forschungswert für einen „Besten“: 48 Millionen Euro
• Die Wertvollsten sind aus staatlicher Sicht die billigsten
• Literaturverzeichnis

 

Im professionellen Sport ist man daran gewöhnt, für die Besten am meisten zu zahlen. Ein Michael Schumacher, ein Dirk Nowitzki, ein André Agassi, ein Giovane Elber sind ihre Millionen pro Jahr wert. Sie interessieren Millionen von Lesern und Zuschauern für ihre Sportart. Entsprechend viel Geld wird dort umgesetzt. Daher sind sie die Ausgaben für sie wert.


Unterhaltungswert für die Öffentlichkeit eher gering

Wie steht es im Vergleich dazu in den professionellen Wissenschaften? Ihre Bekanntheit in der breiten Öffentlichkeit hält sich in Grenzen. Sieht man von wenigen spektakulären wissenschaftlichen Taten wie die technische Ermöglichung von Weltraumfahrten durch Wernher von Braun oder die Herzverpflanzung durch Christiaan Barnard ab, dann begeistern Wissenschaftler keine breite Öffentlichkeit, die sich durch Zuschaltungen im Fernsehen, Kauf von Zeitschriften oder Eintrittskarten bei Massenveranstaltungen wieder einspielen. Bei Wissenschaftlern und Ingenieuren steht der Unterhaltungswert im Hintergrund. Ihre Leistung besteht darin, zu Fortschritten beizutragen, die sich in Innovationen, effizienteren Organisationen, qualitativ hochwertigeren Versorgungen und Erhöhungen der Lebensqualität der Bevölkerung niederschlagen. Zwar har auch hier ein Teil nur Unterhaltungswert wie der Sport oder ist zumindest nicht notwendig, wie die Entwicklung von Spielgeräten durch Ingenieure, viele chirurgische Eingriffe zur Verschönerung oder Geschmacks- und Konsistenzverbesserungen von Zwischenmahlzeiten durch Lebensmittelchemiker und Ernährungswissenschaftler. Ein erheblicher Teil ist jedoch keine leicht verzichtbare Zutat zum Leben wie Organtransplantationen, Antischmerzmittel, Antipsychotika oder Messmethoden zur Prognose von Schul- und Berufserfolgen. In den letzteren Leistungen liegt ein besonderer Wert von Forschungen und Entwicklungen, weil sie unmittelbarer zum wirtschaftlichen Wohlergehen und zur Zukunftssicherung einer Gesellschaft beiträgt als Sport.

Da die besten Forscher einer Gesellschaft unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten mehr als das Mittelmaß bringen, ist interessant zu wissen, was sie in etwa wert sind und ob sie unter ihren Kollegen auch die teuersten sind, vergleichbar den Stars unter den professionellen Sportlern.


Die „Besten“ gegenüber Mittelmaß - überragend um das 20-Fache

Die wichtigste Tätigkeit der Forscher besteht darin, wissenschaftliche Arbeiten zu veröffentlichen. Viele Wissenschaftler begnügen sich damit und erwarten hohe Anerkennungen, wenn es ihnen gelingt, viel in weltweit zugänglichen Zeitschriften wie „Deutsche Medizinische Wochenschrift“, „Lancet“ oder „Science“ zu publizieren. Dies zeigt tatsächlich ein gewisses Können und eine hohe Motivation an, zum Fortschritt der internationalen Wissenschaften beizutragen (Cole & Cole, 1973; Zuckerman, 1977). Aber es genügt nicht, weil es letztlich keinen Einfluss auf den wissenschaftlichen Fortschritt haben muss. Denn viele Veröffentlichungen, selbst Publikationen in höchstangesehenen Zeitschriften, bleiben unbeachtet. Sie hinterlassen keine Spuren in den Wissenschaften und tragen deshalb nicht zum wissenschaftlichen Fortschritt bei.

Dieser liegt hingegen in den Forschungsarbeiten (Bücher, Buchbeiträge, Zeitschriftenartikel in allen möglichen Sprachen), die das Handeln der anderen Wissenschaftler nachweislich beeinflussen. Den Nachweis erbringen die wissenschaftlichen Arbeiten, die sich durch Zitationen darauf beziehen. Zitiert zu werden, gelingt am sichersten durch Arbeiten mit hoher Qualität (Cole & Cole, 1973; Zuckerman, 1977).

Leider erreichen die meisten produktiven Wissenschaftler, auch solche mit hohen akademischen Titeln, mit ihren Veröffentlichungen nicht die Schwelle, so ernst von anderen Wissenschaftlern genommen zu werden, dass diese mit ihren Unterlagen arbeiten und sich in qualitativ gehobenen Arbeiten durch Zitationen dazu bekennen. Die Feststellungen von Cole & Cole (1972) geben schon einen Eindruck davon, wie wenig selbstverständlich Zitationen sind: Die Autoren stellten durch empirische Untersuchungen fest, dass selbst von den international zugänglichen Veröffentlichungen der Wissenschafter die Hälfte innerhalb eines Jahres nicht zitiert wurde.

Für deutsche Verhältnisse liegen inzwischen genauere Angaben vor (Lehrl, 1995): Der Durchschnitt (Median) der habilitierten/professorierten Wissenschaftler über alle wissenschaftlichen Gebiete der deutschen Medizin wird pro Jahr zwei bis drei mal in international zugänglichen Arbeiten zitiert. Hier sind die zehn Prozent der meistzitierten Forscher auf der einen Seite und die 32 Prozent ohne Zitationen auf der anderen Seite einbezogen. Die Schwelle, zu den führenden zehn Prozent zu gehören, liegt beim SII-Wert = 19,5 (Näheres zum SII-Wert im Rahmen). Dies entspricht 20 bis 25 Zitationen.

SII = Science Impact Index
Der Zitationswert SII entspricht der Anzahl der unterschiedlichen Erst-/Alleinautoren, die einen in Betracht kommenden Wissenschaftler in einem Kalenderjahr zitierten.
Zum Schutz gegen den Einfluss von Zitationsgemeinschaften und Selbszitationen wurden nicht alle Zitationen gezählt (Näheres in „www.gam-erlangen.de“: Science Impact Index (SII)). Die mittleren Zitationszahlen weichen nur um wenige Prozentanteile von den SII-Werten ab, auf die sich die Texte hier beziehen.

Vergleicht man nur die Zitationszahl der unteren 90 Prozent der habilitierten/professorierten Wissenschaftler mit denen der oberen zehn Prozent, wird die Diskrepanz der Mediane noch deutlicher:

Die besten Forscher, die das Kriterium für die Aufnahme in das Who´s Who der deutschen Medizin (Lehrl, 1995) und ebenso für die GaM-Bestenlisten (siehe Rahmen) erreichen, sind mit ihren Arbeiten international fast 20mal so präsent wie der Durchschnitt ihrer Kollegen. Wegen der multiplikativen Zunahme hoher Zitationszahlen, die durch den Median systematisch unterschätzt wird, ist der Unterschied noch größer.

Die GaM-Bestenlisten
Sie beziehen sich auf die im Internet unter www.die-besten-nennen.de zugänglichen Listen der führenden Forscher. Das Wort „GaM“ wurde vorangestellt, um sie von anderen Bestenlisten wie solchen sportlicher Leistungen oder FOCUS-Ärztelisten zu unterscheiden.
GaM bedeutet „Gesellschaft für angewandte Metaforschung mbH“. Diese Gesellschaft bereitet die Listen zu.

Jedenfalls liegt der durch Zitationen nachweisbare forscherische Wert bei den im Who´s Who der deutschen Medizin sowie bei den GaM-Listen im Internet erfassten Besten wenigstens zehn Mal so hoch (Untergrenze) wie der durchschnittlicher habilitierter/professorierter Gelehrter.
Dies gilt für ein Jahr. Ein Wissenschaftlerleben kann man mit mindestens 30 Jahren ansetzen. Die Zeit zwischen Emeritierung (oft 68 Jahre) bzw. Pensionierung und der Habilitation gilt nur als Kernzeit. Sie lag bei den „Besten“ bei 36 Jahren (Who´s Who der deutschen Medizin); zu dieser Zeit wurden sie schon viel häufiger als die Mehrheit der habilitierten/professorierten Fachkollegen zitiert (Who´s Who der Medizin, 1995; Ell et al., 1997). Diese Unterschiede zur Habilitationszeit bleiben nicht nur bestehen, sondern erhöhen sich in der Regel, oft sogar bis in die Pensionszeit hinein.

Den unterschiedlichen forscherischen Wert der Besten über die Lebenszeit mit dem Faktor 30 anzusetzen, dürfte dementsprechend keine Übertreibung sein.

Geht man von den Medianen der Mehrheit und der Besten aus, ergibt sich in der Zitationszahl während der Lebenszeit eine Überlegenheit von 40 mal 30 = 1.200 Zitationen gegenüber 2 mal 30 = 60 Zitationen. Das sind für die „Besten“ 1.140 Zitationen mehr als bei ihren durchschnittlichen Fachkollegen.


Geschätzter Forschungswert für einen „Besten“: 48 Millionen Euro

Lässt sich der Unterschied zwischen den „Besten“ zur Mehrheit ihrer Fachkollegen in Geld beziffern? Der Chief Scientist der britischen Regierung, Prof. Dr. Robert M. May, lieferte Grundlagen dazu.

Eine internationale Arbeit für Deutschland kostet gut 100.000 Euro (May, 1997, 1998). Aber letztlich ist sie auch nichts wert, wenn sie, wie oben erörtert, keine Spuren in den Wissenschaften hinterlässt. Deshalb eignen sich nur die Zitationen als Messeinheiten für die Bewertung.

Für eine Zitation gibt Deutschland im Durchschnitt etwa 40 Tausend Euro aus (May 1997, Lehrl 1997). Auf dieser Basis lässt sich der forscherische Wert von Wissenschaftlern grob einschätzen:

Das bedeutet in Geldwerten ausgedrückt: Die Unterschwelle der „Besten“, die bei 20 Zitationen pro Jahr liegt, beträgt etwa 40 x 20 = 800.000 Euro pro Jahr. Der Durchschnitt dieser Auswahl kommt auf etwa den doppelten Forschungswert (Median). Das entspricht rund 1,6 Millionen Euro pro Jahr.

Im Laufe des Lebens, also der 30 Forscherjahre, kumuliert der Gesamtwert der Wissenschaftler der Bestenlisten auf etwa 1,6 x 30 = 48 Millionen Euro. Das sind Durchschnittswerte (Mediane) der Besten. Die Spitze liegt in vielen medizinischen Disziplinen beim Dreifachen und höher.

Die habilitierten/professorierten Kollegen stehen dem mit 2 x 40 = 80 Tausend Euro im Jahr und 30 x 80 = 2,4 Millionen Euro im Leben gegenüber.


Die Wertvollsten sind aus staatlicher Sicht die billigsten

Die im Who´s Who der deutschen Medizin und den GaM-Listen aufgenommenen Wissenschaftler sind unsere billigsten Forscher im Staat, weil sie in der Regel kaum besser bezahlt werden als ihre Kollegen.

Aus Sicht der Öffentlichkeit sind sie ein Schnäppchen. Im wissenschaftlichen Gebiet hat das wirtschaftliche Denken im Gegensatz zu dem der sportlichen Wettbewerbe noch kaum um sich gegriffen.

Mit den erst seit Ende der 90-er Jahre in Deutschland gesetzlich verankerten Versuchen, den Wettbewerb zwischen den Wissenschaftlern und Hochschulen durch leistungsgerechte Bezahlung zu fördern, scheint aber eine Grundlage gegeben zu sein, sich beim Sport zu informieren, wie man dort verfährt, um sportliche Höchstleistungen zu erzielen. Vielleicht werben sich dann die Forschungsstellen zu hohen, sprich angemessenen Preisen die Besten ab. Um sie zu erkennen, brauchen sie nur in den Bestenlisten nachzuschauen.

Selbstverständlich werden auch Differenzierungen nach Disziplinen kommen: Die Spitze im Tennis und Fußball ist mehr wert als im Hand- oder Volleyball. Auch zwischen den medizinischen Disziplinen gibt es Unterschiede im Wert von Zitaten. Deshalb mussten fachspezifische Normen für die SII-Werte entwickelt werden (Lehrl, 1995, 1997). Und innerhalb der Fachdisziplinen wird innerhalb der Bestenliste der Forscher auf Rangplatz 1 mit vielleicht 120 Zitationen pro Jahr höher eingeschätzt werden als einer auf Rang 10 oder 20 mit jährlich 32 oder 21 Zitationen. Dies wird sich kaum von Sport unterscheiden, wo ein Michael Schumacher höher als ein Harald Frenzen gehandelt wird.


Literaturverzeichnis

  1. Cole JR, Cole S (1972) The Ortega Hypothesis. Science 178: 368-375.
  2. Cole JR, Cole S (1973) Social Stratification in Science. University of Chicago Press: Chicago.
  3. Ell C, Gunreben E, Kettner S, Lehrl S. (1997) Forschungsaktivität und Forschungsqualität im Spiegel von Zitationsindizes. Z Gastroenterol 35: 23-28.
  4. Lehrl S (1997).Autorenschaften, Co-Autorenschaften und ihre Reihenfolge, Auswirkungen auf citation index und impact index. In Creutzfeldt, W., Gerok, G. (Eds.), Medizinische Publizistik - Probleme und Zukunft. Thieme: Stuttgart, S. 18-42.
  5. Lehrl S. Die führenden Medizinforscher. Who´s Who der deutschen Medizin. Vless-Verlag: Ebersberg; 1995.
  6. May RM (1997) The Scientific Wealth of Nations. Science 275: 793-796.
  7. May RM (1998) The Scientific Investments of Nations. Science 281: 49-51.
  8. Zuckerman H (1977) Scientific Elite. Free Press: New York.
     

V. A.

Stand: 01.06.2003